Klinische Symptomatik
Der ungewöhnlich frühe Eintritt der Menopause vor dem 40. Lebensjahr wird als prämature Ovarialinsuffizienz (POI, premature ovarian failure, POF) bezeichnet. POI ist durch Amenorrhoe, erniedrigte Östrogen- und erhöhte Gonadotropinspiegel charakterisiert. Bei 10-15 % der Frauen ist die Ursache eine Verlängerung eines Triplettrepeats im Gen FMR1.
Der Nachweis eines verlängerten Triplettrepeats in diesem Gen klärt die Ursache der POI und gibt Hinweise, dass Verwandte von FMR1-assoziierten Erkrankungen betroffen sein könnten.
Dies sind:
Genetik
Das Gen FMR1 liegt auf dem langen Arm des X-Chromosoms. Im Exon 1 von FMR1 liegt ein repetitives CGG-Triplett, das in der Normalbevölkerung in bis zu 40 Wiederholungen vorliegt (s. Tabelle).
Ab einer Triplett-Zahl von 41 wird die Sequenz in der Keimbahn zunehmend instabil (Graubereich), d.h. es kann zu einer weiteren Verlängerung kommen. Ab 56 Tripletts spricht man von einer Prämutation. Eine aberrante Hypermethylierung der Promoter-Region findet üblicherweise ab einer Repeatzahl von mehr als 200 Tripletts statt. Es resultiert ein Expressionsverlust des Gens FMR1. Man bezeichnet dies als Vollmutation.
Ein einmal in den Prämutationsbereich verlängertes CGG-Triplett kann sich vor allem bei der Vererbung über die weibliche Keimbahn in den Vollmutationsbereich verlängern. Prämutationen bedeuten eine Risikoerhöhung für assoziierte Erkrankungen wie vorzeitige (prämature) Ovarialinsuffizienz (POI) und/oder Fragile X Related Tremor/Ataxia Syndrome (FXTAS). Ab dem oberen Norm- (35 CGG) bis in den Prämutationsbereich erfolgt eine verstärkte Transkription des Gens FMR1, hier ist vermutlich der FMR1-mRNA ein toxischer Effekt zuzuordnen. Das Risiko einer FMR1-Prämutationsträgerin für POI wird mit ca. 20 % angegeben. Ein Zusammenhang für Trägerinnen von Allelen im oberen Norm- und Grauzonenbereich (35-55 CGG) für eine POI lässt sich nicht eindeutig belegen. Ein erhöhtes Risiko wird in der Literatur kontrovers diskutiert.
Neben dem Risiko einer Frau mit einer FMR1-Prämutation für eine POI ist vor allem auch auf das Risiko für ein Kind mit einem Fragilen-X-Syndrom zu achten:
Das Risiko einer Vollmutation steigt mit der Zahl der CGG-Tripletts der Mutter.
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CGG-Repeats |
Männlich |
Weiblich |
Normalallel |
5 - 40
|
stabil in einer Person und stabil in der Vererbung |
Grauzonen- oder Intermediärallel |
41 - 55
|
stabil in einer Person, instabil in der Vererbung, aber keine Expansion zur Vollmutation in der nachfolgenden Generation |
Prämutationsallel |
56 - 200 |
stabil in einer Person, instabil in der Vererbung: Töchter obligate Trägerinnen einer Prämutation; erhöhtes Risiko für FXTAS |
stabil in einer Person, instabil in der Vererbung, Risiko für Vollmutation in der nächsten Generation in Abhängigkeit von der Repeatanzahl; wenn expandiertes Allel vererbt wird, ist das Risiko für eine Expansion in den Vollmutationsbereich abhängig von der Repeatanzahl: 55-69: 3-5 % 70-79: 31 % 80-89: 58 % 90-99: 80 % 100-200: 94-100 %; erhöhtes Risiko für POI und FXTAS |
Vollmutationsallel |
> 200 |
FraX-Syndrom, instabil in einer Person (somatisches Mosaik), instabil in der Vererbung: Töchter obligate Trägerinnen einer Prämutation |
etwa 60 % zeigen i.d.R. eine milde mentale Retardierung, instabil in einer Person (somatisches Mosaik), instabil in der Vererbung max. 50 % Risiko für Vollmutation bei den Nachkommen |
Weitere Gene sind bekannt, die (seltener) zur POI disponieren: z.B.
- SF1, 11q13
- FSHR, 2p16
- BMP15/GDF9B, Xp11.2
- DIAPH2, Xq21.31
- FOXL2, 3q23
- LHCGR, 2p21
- AFF2, Xq28